Unterwegs… in der Lüneburger Heide

Die Heidedistanz 2013:

Schweiß, Staub und wenig Schlaf

Heidedistanz1

Ich sitze bei gefühlten 40°Grad auf einem wackeligen Hochsitz mitten in der Lüneburger Heide. Auf meinen Armen und Beinen haben Staub und Schweiß in den vergangenen Stunden eine unappetitliche Emulsion gebildet, die aber sämtliche Stechmücken der näheren Umgebung offenkundig als sehr anziehend und betörend empfinden. Die besagte Umgebung besteht, soweit das Auge reicht aus Maisfeldern, die am fernen Horizont auf einen Wald treffen. Seit 30 Stunden bin ich mittlerweile auf den Beinen und außer den Stechmücken ist weit und breit kein weiteres Lebewesen zu sehen, was sich jedoch hoffentlich bald ändert, denn seit etwa einer halben Stunde richte ich angestrengt meine Augen auf den Waldrand am Horizont, in der Hoffnung ein Pferd heranpreschen zu sehen.


Ich frage mich, wie oft ich in meinem Leben etwas ähnlich absurderes getan habe, denn ich reagiere auf übermäßigen Staub eigentlich mit heftiger Ablehnung, ziehe jede geteerte Straße dieser Welt einem Feldweg oder einer Wiese vor, empfinde Campen als eine Vorstufe zur völligen Verwahrlosung und Pferde interessieren mich eigentlich auch kein bisschen.

Seit gestern Nachmittag bin ich zu Gast bei der „Heidedistanz“, einem traditionsreichen Pferderennen, das die Teilnehmer von Feuerschützenbostel (bei Celle), über eine Strecke von 160 km, zu ihrem Ziel nach Brackel (etwa 30 km südlich von Hamburg) führt. Mit einem Pferd 160 km weit zu reiten ist in meinen Augen ähnlich abwegig, wie … naja wie zum Beispiel bei dieser Hitze auf einem Hochsitz zu hocken und sich von Mücken perforieren zu lassen. Dennoch fanden sich gestern Nachmittag knapp 60 Teilnehmer aus ganz Deutschland am Rittergut in Feuerschützenbostel ein, um genau das zu tun. Nachdem sie sich herzlich begrüßt, die Pferde dem Tierarzt vorgestellt und gemeinsam zu Abend gegessen hatten, wurde es dann recht ruhig auf den weiten Grasflächen.

DSCN5282aAls gegen 23:00 Uhr der leichte Regen aussetzte und die Wolken die Sicht auf den Mond freigaben, tauchte dieser die umliegenden, verschlafen wirkenden Wiesen, in ein fahles bläuliches Licht. Selbst ich konnte mich nicht gänzlich dieser verträumten Atmosphäre entziehen und schlich immer wieder mit meiner Kamera um die improvisierten Zäune, hinter denen die Pferde ruhig grasten, herum. Zunächst fast unmerklich DSCN5300awurde es dann lebhafter rund um die zahlreichen Zelte, Wohnmobile und Pferdeanhänger. Es wurde eifrig gepackt, Streckenkarten wurden studiert, Pferde gesattelt und die ersten Teilnehmer trabten einige Meter, um sich und ihr Pferd an die Dunkelheit zu gewöhnen. Innerhalb von wenigen Minuten war aus dieser verschlafenen Szenerie ein hektisches Gewusel, voller Spannung                                                                                und Nervosität, geworden.

Die Startphase

Nicht nur die enorme Streckenlänge, insbesondere das nächtliche Reiten, flößte den Startern merklich Respekt ein. Exakt um Mitternacht erfolgte dann das Startsignal. Im stimmungsvollen Fackelschein machten sich die Teilnehmer auf ihren langen Weg durch die Lüneburger Heide. „Oh ist das toll!“, hörte ich noch eine Reiterin aufgeregt ausrufen, bevor die Dunkelheit des Waldes sie verschluckte.

Ich bin sogleich zu meinem Auto geeilt, wo mein Navigationsgerät bereits vorprogrammiert war und mich zu dem ersten Zwischenstopp, führen sollte. Die nächtliche Fahrt durch die menschenleere Heidelandschaft, die Nebelschwaden, die sich im Scheinwerferkegel zeigten, der leuchtende Mond… ich begann zu ahnen, dass ich hier etwas ganz Besonderes erleben würde.

Als ich die anvisierte Wiese gegen 1 Uhr erreicht hatte, war ich nicht wenig überrascht, denn eine Unmenge an Wohnwagen und Autos mit Pferdeanhängern warteten hier bereits, sodass es sogar nötig war, dass ein Herr mit leuchtender Warnweste den Ankommenden ihre Autostellplätze zuwies, um ein noch größeres Chaos zu verhindern.

DSCN5381aGegen 1:30 Uhr ertönten dann die ersten aufgeregten Rufe: „Sie kommen! Sie kommen!“ Unter den Helfern, die eben noch in entspannter Runde plaudernd beieinander standen, machte sich jetzt hektische Betriebsamkeit breit. Wassereimer wurden gerichtet, Heu auf die Wiese getragen, der zuständige Tierarzt richtete sein „mobiles Behandlungszimmer“ ein und ließ es von den Scheinwerfern eines Jeeps DSCN5400aausleuchten. Jetzt sah auch ich in der Ferne die ersten neongelben Punkte aufleuchten. Und kurz darauf tauchte das erste Pferd aus der Dunkelheit auf. Sämtliche Pferde, die jetzt im Minutentakt eintrafen, wurden dem Tierarzt vorgeführt. Die vom hellen Mondlicht beleuchteten Nebelschwaden sorgten dabei für eine geradezu magische Stimmung. Nach dem medizinischen Check durften Reiter und Pferd eine halbstündige Pause einlegen. Ich setzte mich kurz zu einer der Reiterinnen, deren leuchtende Augen
DSCN5408abereits Bände sprachen. „Es ist einfach unglaublich…! Der Nebel und das Mondlicht…. der Schatten der Pferde… einfach unglaublich… die Pferde sind so toll…“ Dabei schüttelte sie fast unmerklich den Kopf, als könne sie selbst nicht glauben, was sie da gerade erlebt.

Eigentlich sah mein Plan vor, nun zu meiner Pension nach Bispingen zu fahren, mich nach einer Dusche ins Bett zu legen und am folgenden Vormittag wieder in das Geschehen einzusteigen, doch mittlerweile war ich auch elektrisiert von den Ereignissen, der Umgebung und der einzigartigen Atmosphäre. Ohne lange mit mir zu diskutieren, beschloss ich die Reiter auf ihrem Ritt durch die Nacht zu begleiten und sie bei Sonnenaufgang zu begrüßen.

DSCN5603aAm frühen Morgen war das Feld dann bereits weit auseinandergezogen. In den folgenden Stunden stiegen die Temperaturen schnell und nahmen mit Leichtigkeit die 30°Grad-Hürde. Die Hitze machte zunehmend Pferden, Reitern, aber auch den Betreuern, die in überhitzten Autos von Station zu Station eilten und unzählige Liter Wasser für die durstigen Vierbeiner herbeischaffen mussten, zu schaffen. Die extremen Umstände zwangen nach und nach mehr Teilnehmer zum Ausstieg aus dem Rennen.


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Mittlerweile ist es Nachmittag geworden und ich verlasse endlich meinen Platz an der Sonne, denn soeben sind die beiden führenden Reiter an dem besagten Hochsitz vorbeigaloppiert. Jetzt heißt es für mich schnell nach Brackel zu gelangen, um die Reiter dort beim Zieleinlauf willkommen zu heißen.

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Gegen 17:30 Uhr sehe ich dann auch in der Ferne trockenen Staub aufwirbeln. Die führenden Reiter nähern sich dem Ziel. Am Ende gelingt sieben Teams die Bewältigung der Gesamtstrecke. Nicht wenige der Reiter haben beim Erreichen der Ziellinie mehr als nur eine Träne in den Augen. Überwältigt von den eigenen Emotionen, dem Schlafmangel, dem Kampf gegen die Hitze und den bewegenden Erlebnissen der Nacht, übergeben sie erschöpft die Pferde ihren Betreuern.

Als ich mich etwa zwei Stunden später frisch geduscht am Tisch eines italienischen Restaurants wiederfinde und zu Bruschetta einen leckeren, kühlen Weißwein genieße, ist mir klar, dass zwei Tage in der Natur nicht wirklich meine Sache sind. Und dennoch… die gespannte Atmosphäre vor dem Start vergangene Nacht, das Losreiten im Fackelschein, die Pferdesilhouetten im Mondlicht, die enthusiastischen Reiter bei Sonnenaufgang… all das sind schon tolle Bilder und Erinnerungen. Und während ich mein Glas leere, beschließe ich nächstes Jahr wieder bei der Heidedistanz dabei zu sein.

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